So, heute geht es mal um Glaubensfragen. Allerdings eher im agnostischen Sinne, alles andere wäre auch schwer zu beantworten: Also, gebrauchte Kamera kaufen oder nicht, darum geht es. Und welche?
Abgesehen davon, dass natürlich immer das Unbehagen mitmischt, meist keine oder nur noch wenig Garantie auf ein Leben nach dem Erstbesitz zu bekommen, spielt natürlich auch eine Rolle, ob man sich wirklich einer möglicherweise veralteten Lehre, äh Technik, anvertrauen will. Denn zumindest bei den Schnäppchen wabert meist der Aspekt der drohenden Obsoleszenz wie Hades‘ Schlund am Horizont. Andererseits halte ich diese Frage gerade bei (hoffentlich) zunehmender Altersweisheit und abnehmender Lust, immer neuen, immer wertloser werdenden technischen Tand schnellstmöglich wie Formel-1-Reifen zu verbrennen, für beinahe existenziell. Schließlich ist es genau das, was sich in Analogtrends à la Vinyl und Film manifestiert.
Kap Hoorn und die Status-Quo-Depression
X100 Makromodus
Müssen wir uns wirklich immer das aktuell technisch Machbare aneignen? Brauchen tun wir es ja sowieso nicht. Ist nicht viel mehr das, was Beständigkeit atmet, uns zuverlässig dient, was wir über einen langen Zeitraum auszureizen und zu schätzen gelernt haben, was beinahe unsichtbar wird in unseren Händen, da wir es intuitiv nutzen wie eine Taschenlampe, von viel größerem Wert für uns als hektisch immer dem letzten Update hinterher zu hecheln? Müssen wir unterschwellig mitteilen: Hey, ich kann mir etwas Neues leisten und muss mich nicht mit diesem alten Schrott abgeben… was wir mit der Ausrede rechtfertigen, eine aufs Wegwerfen ausgerichtete Wirtschaft stützen zu müssen.
Wenn ich wirklich irgendwann mal einen Traum wahrmache und aussteige, um irgendwo in der Einsamkeit Neufundlands oder so zu hausen (neulich was über Kap Hoorn gesehen, sah auch nicht schlecht aus), würde ich so wenig Gadgets wie möglich in den Koffer packen. Solide Mechanik hätte in jedem Fall den Vorzug gegenüber empfindlicher Mikroelektronik, analog vor digital, einfach vor kompliziert, Haptik vor Plastik.
Zurück zur Realität: Manchmal sind es einfach die Vorgängermodelle, die verkannte oder bekannte Vorzüge genießen oder einfach nicht abgeben mussten, nur weil dem Markt Nachfolgenerationen „geschenkt“ werden, die margenkompatibler sein müssen oder einfach die ständige Updategeilheit bzw. Status-Quo-Depression lindern.
Ja, ich glaube, trotz Neufundland, ich würde nicht auf eine Digitalkamera verzichten wollen. So eine wäre die original Fuji X100, und zwar nur das Original.
Beim Fuji X-System wird derzeit immer noch der Wechsel auf eine neue Sensorgeneration vollzogen, nach der X-Pro, X100, X-T1 und X-T10 wird bald auch die X-E2 durch einen Nachfolger mit der dritten Generation der X-Trans-Sensoren ersetzt, mit 24 MP und einigen anderen Pimps, die bestimmt nett sind, aber eher sanft evolutionär.
Muss man unbedingt haben? Vielleicht. Ich denke: Sportfotografen und alle, die richtig fett Auflösung wollen, um photoshopgestützt hauswandgroße Plakate zu erzeugen, sollten sich ohnehin woanders umschauen. Falls es beruhigt, ein Bildband oder kleinere Plakate ließen sich auch ausgezeichnet mit einer X100 und ihrem APS-C-Sensor füllen, darum soll es hier aber nicht gehen: Die X100 und die erste Generation der X-Kameras ist einfach dermaßen gut, dass sich der Blick auf den Gebrauchtmarkt nach wie vor lohnt. Vorzüge der Nachfolgeversionen X100S und X100T waren vor allem ein etwas schnellerer Autofokus und die gesteigerte Auflösung im Megapixelbereich. Allerdings ist der Autofokus bei Fuji meiner Meinung nach bis heute nicht vergleichbar mit einer DSLR oder einer Panalympus aus dem Micro Four Thirds-Land. Was auch für die Videofunktion gilt, die bei Fuji aber eh nie im Vordergrund stand.
Fujifans führen gern die „eingebauten“ Filmsimulationen der Kameras an, die bei späteren Generationen etwa um das beliebte Classic Chrome erweitert wurden — ein sehr spezifischer, auf den X-Trans-Sensor zugeschnittener Farbfilter mit in der Tat recht schöner klassischer Farbanmutung. Doch Classic Chrome setzt auch das Verwenden der Fuji-JPEG-Engine voraus, was ich wirklich nicht empfehlen kann.
Zumindest bei den X-Trans II-Kameras, also etwa X100S oder X100T sowie X-E2 (die beiden letzteren habe ich über längere Zeit ausprobiert), zwingt die Kamera Bildern bei suboptimalem Licht im höheren ISO-Bereich eine derart aggressive Rauschunterdrückung auf, dass Gesichter plötzlich aussehen wie in Madame Tussaud‘s Wachsfigurenkabinett. Der Wachseffekt ist bekannt und im Internet heiß diskutiert — für eine moderne Kamera in dieser Preisklasse ist er ein Unding, das mich nach den ersten Bildern mit einer nagelneuen X100T von einer Sekunde auf die andere von einem JPEG-Anhänger in einen RAW-Fotografen verwandelt hat.
Direkt aus dem Kasten oder lieber nicht?
Jpeg erschien mit immer einfacher und näher an dem Gedanken, dass ich eine Kamera ja eben kaufe wegen der Bilder, die direkt aus ihr herauskommen. Classic Chrome, also eine Art JPEG-Kodachrome oder Ektachrome aus dem Kasten war für mich tatsächlich so etwas wie ein Kaufargument. Doch bei der RAW-Entwicklung mit Lightroom oder anderen Tools, zum Beispiel dem mobilen VSCO Cam, bin ich nicht auf Classic Chrome angewiesen, sondern habe Zugriff auf unendlich viele und oft sogar viel bessere Filmsimulationen.
Jpeg-Aufnahme direkt aus der X100. Alle anderen Bilder in diesem Blog wurden mit Lightroom oder VSCO Cam entwickelt.
Und wenn Jpeg aus einer X-Trans II-Kamera solch erschreckende Resultate liefert, Autofokus nur unwesentlich besser ist, 16 MP nicht so viel besser sind als 12, warum reicht dann nicht eins meiner alten Modelle ohne X-Trans II oder sogar mit klassischem Bayer-Sensor wie die X100 — ein Modell, das ich deutlich günstiger gebraucht bekomme?
Der X100 und der X-Pro1 und ihrer günstigeren Schwester, der X-E1, wird nachgesagt, dass ihre Sensoren „filmischere“, „organischere“ Resultate liefern als die Nachfolger. Die X100 hat einen 12MP APS-C-Sensor mit Bayer-Muster und begründete das Feld der Rangefinder-ähnlichen Kameras im Retrostyl neu (nach der Epson R-D1), die X-Pro1 war die erste X-Kamera mit X-Trans I Sensor und 16 Megapixeln Auflösung. Das zeigt eigentlich schon, dass die beiden Kameras ziemlich unterschiedlich sein müssen, die X100 ist etwa nicht nur eine Pro-1 ohne Wechselbrennweite, stattdessen ein sehr spezielles Talent mit einem exzellenten 35mm-Äquivalent. Die X100 ist Ausdruck eines ganz anderen Sensorkonzepts, das noch eher untypisch war für den späteren Weg von Fujis X-Serie, und das deshalb meiner Meinung nach auch immer noch eine Ausnahmeerscheinung ist.
Kunst statt Plastik
Meine X100, die mittlerweile weit über 100,000 Aufnahmen auf dem Buckel hat, ist für mich mehr als ein Werkzeug, das mich nie im Stich gelassen hat, ob bei Hitze, Kälte, Regen, Schnee, schlechtem Licht oder strammen Kontrasten. Trotz der Festbrennweite ist sie wunderbar universell einsetzbar, sowohl für Portraits, Street, als auch für Landschaftsaufnahmen. Der elektronische Viewfinder mag nicht mehr auf der Höhe der Zeit sein, aber näher dran am Geist einer Olympus Trip oder alten Rangefinderfinder-Kamera (wenn auch die X100 kein Rangefinder ist!) ist man eh mit dem optischen Sucher. Meine X100 ist für mich, um im Bereich des Glaubens zu bleiben, wieder sehr nach dran am “Street Zen”, an dem, was wirklich klassische Kameras ausströmen und moderner Plastikkram, tut mir leid, nun mal eben nicht. Die X100 ist ein kleines Kunstwerk fur sich. Vielleicht ist es Einbildung oder durch die samtig-satinausgelegte Box induziert, in der sie geliefert wurde, aber die original X100 fühlt sich sogar wertiger, schwerer, klassischer an als etwa die X100T. Die kam im Eierschalenkarton.
Wenn es die original X100 noch neu gäbe, würde ich sie wieder kaufen. Nur als Vorrat für den Fall, dass die alte den Geist aufgibt. Tatsächlich habe ich es mittlerweile sogar getan, dank einer günstigen Gelegenheit. Solche Gelegenheiten gibt es mittlerweile genug auf den Gebrauchtmärkten, auch wenn die Preise für eine X100 immer noch höher sind als für Kameras aus der gleichen Zeit.
Gerne glaubte ich schließlich, dass ich die X100 auch in zehn Jahren noch benutzen werde, auch wenn ich immer noch zweifle, dass ihre Lebenserwartung auch nur annähernd an die einer alten Olympus, Rollei oder Canonet herankommt (Leica will ich hier mal lieber gar nicht erwähnen). Aber hier ging es schließlich auch um Glaubensfragen.
PS.
Ich möchte dies nicht beenden ohne wenigsten einen praktischen Tip. Die X100 wurde 2010 eingeführt, was eigentlich immer noch kein Alter sein sollte. Doch einige der früheren Exemplare, Quellen im Internet reden von zwei Prozent, litten offenbar unter einem Seriendefekt, bei dem die Blendenlamellen nicht mehr reagierten. Es gibt sogar eine Abkürzung dafür: SAB, steht fur “Sticky Aperture Blades”. Betroffen scheinen vor allem frühe Seriennummern, die mit 12A oder 13A beginnen, und einige wenige 14A. Die Seriennummer steht unten auf dem Batterie-/Speicherkartendeckel. Ich würde vor dem Kauf darauf achten, ob die Seriennummer irgendwo abgebildet oder sogar genannt ist — im Zweifel immer den Verkäufer fragen. Vielleicht wurde das Problem ja auch auf Kosten von Fujifilm behoben oder ist trotz tausender Auslösungen nie aufgetreten. Dann besteht eine gute Chance, dass auch diese X100 noch sehr lange hält.
Eine interessanten Blog mit einigen weiteren Tips zu gebrauchten X100 gibt es hier.
4 Gedanken zu “Xperimente (keine mehr?)”