Last-Minute GAS. Konnte kurz vor meinem letzten Urlaub einem Schnäppchen nicht widerstehen, nachdem ich zugegebenermaßen diesen amüsanten Blogpost gelesen hatte.
Ich hätte nicht gedacht, dass es in den 1970ern schon so kleine “vollwertige” Kameras gegeben hat wie die Olympus 35 RC. Wie der Autor des verlinkten Blogs hatte ich zwar zuvor auch eine X100, aber von wahren Rangefinder-Kameras praktisch keine Ahnung. Die 35 RC war angeblich die kleinste jemals hergestellte komplett manuell bedienbare Messsucher-Maschine.
Das klingt etwas umständlich, macht aber Sinn. Kameras vergleichbarer Größe wie die Konica C35, die etwas kleinere Rollei B 35 oder die schon leicht größere (aber dafür batterielose!) Olympus Trip 35 sind entweder keine richtigen Rangefinder (Rollei, Trip) oder lassen nur bedingt manuellen Eingriff (Trip, Konica) zu. Wer etwa die Konica mit der Olympus verwechselt, weil sie sich so ähnlich und fast gleich groß sind, sollte bedenken, dass bei der Konica nichts mehr läuft, sobald der Belichtungsmesser oder die Batterieelektronik kaputt ist.
Dagegen ist die Olympus eine wirklich klassische Kamera, die notfalls auch ohne so neumodischen Kram wie Belichtungsmessung funktioniert — mit “klassisch” meine ich Vollausstattung mit Blendenring und Rad für die Belichtungszeiten. Und hey — Full Frame (=Kleinbild) in dieser Größe, boah.

Wie Leica M7, sagt Chuck Norris der Fotografie
Spätestens seit ich von William Eggleston gehört hatte, wollte ich mal einen Rangefinder ausprobieren. Hier gab es nun also eine einigermaßen ernsthafte Kamera, die so klein war, dass ich sie einfach zusätzlich einstecken konnte, zudem so billig, dass ich sie guten Gewissens einfach mal mit einer Rolle Kodak Ektachrome 100 füllen konnte, abgelaufen natürlich. Aber der klingt der wenigstens vom Namen her irgendwie nach Kodachrome, siehe wiederum Eggleston.
Ken Rockwell, auch schon mal Chuck Norris der Fotografie genannt, sagt, dass die kleine Olympus nicht nur billig ist, sondern sich auch billig anfühlt, aber immerhin den Künstler am mickrigen, etwas widerstandslosen Auslöser zu beinahe so guten Bildern beflügelt wie eine Leica M7. Heiliger Eggleston, wenn der das wüsste. Leider kann ich zu diesem Vergleich weniger sagen, weil ich weder eine M7 habe noch der RC 35 Summicron-ähnliche Bilder entlocken konnte — außer, dass das mit dem billig Anfühlen relativ ist.

Urlaubsidyll mit Gummiboot, wie aus dem Familienalbum
Ich meine, diese Kamera ist vermutlich mehr als 40 Jahre alt. Ja, sie hat das ein oder andere Plastikteilchen, allerdings möchte ich mal sehen, wie das Plastik an einer übrigens vergleichbar großen Panasonic LX100 im Jahre 2057 aussieht. Dann sind wir vermutlich immer noch nicht auf dem Mars, meine Hände können vielleicht keine Kamera mehr halten, doch funktionierende LX100 gibt es ganz bestimmt nicht mehr. Vermute ich jetzt mal. Abgesehen davon ist der Rumpf der 35 RC aus ziemlich massiv wirkendem Metall. Mein Exemplar hat ein paar kleine Dellen, vielleicht hat mal jemand Bierflaschen damit geöffnet, wofür die alte Dame sich noch immer ziemlich gut macht, im Sinne von „aussehen“, nicht Bierflaschen öffen.

Die Treppe passend zu den Schuhen
Und die Olympus sieht nicht nur gut aus, sie fühlt sich auch gut an. Sie ist dick genug, um gut in der Hand zu liegen, unsinnigen Tand wie wulstige Griffe oder so braucht man erst gar nicht. Film einlegen und Fotografieren gehen spielend leicht, wenn man mal eine Fuji X bedient hat, und es gibt sogar einen Modus mit automatischer Blendenwahl für Schattenparker, der ausgesprochen gut funktioniert. Mein Aha-Erlebnis war allerdings der Messsucher. Mit der Praktica MTL5B habe ich als Teenager schon mal komplett manuell fokussiert, mit der Olympus OM-1 habe ich eine ähnlich betagte Spiegelreflex in Griffweite. Mit keiner (vorautomatischen) Spiegelreflex ist es hingegen so einfach, ein Bild scharf zu stellen wie mit dem Rangefinderpatch, der bei der Olympus nicht einmal besonders markant geraten ist.
Offenbarung: Messsucher / Rangefinder

Ektachrome-Blau
Dabei fokussiert man folgendermaßen, laienhaft formuliert: Die Kamera projiziert sozusagen in die Mitte des Suchers ein kleines Geisterbild des anvisierten Objekts, das der Fotograf nun durch Drehen des Fokusrings mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung bringen muss. Man legt sozusagen eine gelbliche Schablone auf die Realität. Am einfachsten ist das bei gutem Licht, wenn man “klare Kanten” wie etwa eine Laterne oder markante Bereiche eines Gesichts fokussiert.
Schwieriger wird es bei eher amorphen Objekten oder im Halbdunkel, gerade bei dem etwas schwächlichen Rangefindervierecks der RC 35. Das mag am Alter der Kamera liegen, aber ein Bekannter sagte mir neulich, dass dieser Messsucher immer noch klarer sei als bei seiner alten Leica M.
Wie auch immer, nachdem ich diese Kamera und die Konica C35 ausprobiert hatte, konnte ich so langsam erahnen, warum Rangefinder eine Art Kultstatus besitzen (hier ein empfehlenswertes Buch). Warum sie die bevorzugten Kameras bekannter Street-Fotografen waren, zum Teil auch wieder sind. Eben nicht nur, weil die Apparate klein und unauffällig sind und oftmals gute Linsen mitbringen, sondern weil sie auch schnell und zuverlässig belichten, was sich zuvor auf die Netzhaut des Fotografierenden gebrannt hat. Nie zuvor habe ich manuelles Fokussieren als so einfach empfunden, selbst mit dem schon ziemlich genialen digitalen Focus-Peaking einer Olympus Pen-F nicht. Hätte nicht gedacht, dass es mal so weit kommt…

Nach 20 Jahren ohne Film und einem Haufen Digitalkameras fast so etwas wie eine Offenbarung. Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass meine ersten Filmbilder nach so langer Zeit Meisterwerke geworden sind. Aber dank des alten, abgelaufenen Kodak-Films gefällt mir der Charme und die cineastisch-altmodische Atmosphäre. Im Jahre 2017 mit einer Kamera aus den 70ern und einem uralten Film Bilder zu schaffen wie im Kino, das ich liebe — mit VSCO geht das so einfach und authentisch definitiv nicht.

Viel mehr noch war aber der Vorgang des Bildermachens an sich unglaublich entspannend und back to the roots, so absolut passend zu den alten Fassaden, der Ruhe im ligurischen Hinterland und dem entfernten Geläut der Glocken.

Kein nerviges Blicken auf das Display, keine Akkuanzeige, kein surrendes Objektiv, alles so wunderbar undigital, dass sich mir tatsächlich immer wieder ein glückliches Grinsen ins Gesicht geschlichen hat.: nur die Umgebung und das Gadget in meiner Hand. Zen im Reinzustand, wenn nicht sogar Herzinfarkt-Prophylaxe, eigentlich das Gegenteil von GAS.